Zeitzeuge Franz-Jürgen Lehmkuhl

Sonnen- und Schattenseiten im DDR-Schutzstreifen

Franz-Jürgen Lehmkuhl

geboren am 16.09.1951 in Konau

Die Kindheit im Schutzstreifen der Grenze

Die Grenzbefestigung

Fluchtgedanken

Die Wendezeit

Kindheit im Schutzstreifen der Grenze

Wir hatten eine hervorragende Kindheit. Meine Schwester und ich, wir sind bei meinen Eltern auf dem Hof groß geworden. Meine Eltern hatten einen sehr funktionierenden Bauernhof betrieben.

Chronologisch zur Abwicklung: Wir haben 1957 schon ein Auto bekommen, ich habe mit 16 Motorrad gehabt und mit 14 ein Reitpferd und meine Eltern haben immer dafür gesorgt, dass es uns gut geht, das war die Sonnenseite unseres Lebens.

Der Schatten war die andere, das haben wir haben natürlich schon ein Kindesbein erlebt, zum Beispiel sind wir mal irgendwann nach der offiziellen Sperrstunde von Freunden meines Vaters nach Hause gekommen und wurden direkt vor unserem Hof angehalten und durften dann unser Grundstück nicht betreten und dann ist mein Vater sehr wütend geworden und hat dem Organ dann mitgeteilt: „Und die Kinder kommen zu Bett, die bleiben hier nicht sitzen im Auto!“

Meine Eltern mussten dann von 11 Uhr bis morgens 5 Uhr vorm Hof stehen und warten, dass sie das Haus betreten durften, aber zwischendurch, durfte meine Mutter uns zu Bett bringen.

Und so hat sich das eigentlich immer weiterentwickelt. Die Grenze war nicht so, wie sich das allgemein vorgestellt ist. Die Grenze ist ganz, ganz langsam gewachsen.

Wenn wir zur Schule gegangen sind, durften wir nicht erzählen, dass meine Eltern nicht „aktuelle Kamera“ geguckt haben, sondern die „Tagesschau“. Wenn wir zum Konfirmanden Unterricht gegangen sind, durften wir darüber nicht unbedingt sprechen. Ich bin getauft, ich wurde konfirmiert und ich bin heute noch in der Kirche.

Das war ein ständiges Gespräch, wir mussten unbedingt immer darauf achten, dass vom Westfernsehen nichts erzählt wurde.

Es gab ja überall Leute, für die ich heute im nachher rein sogar Verständnis habe, die vor den Fenster rumgelaufen sind und gehorcht haben. Das waren dann doch diejenigen, die auf die Dinge des Sozialismus reingefallen sind.

Die Grenzbefestigung

Aber den nächsten Zaun hat man ja so entlang der Dünen gebaut, mit drei großen Drahtrollen und ja, das war nicht so erschreckend für uns.
Da konnte man noch gut durchkriechen und das haben wir dann als Kinder auch praktiziert.

Und die Pforten – ich hab damit meiner Schwestern Kühe hüten müssen und wir haben da Heu eingefahren und ich hab da in der Elbe gebadet, obwohl das „wer weiß wie“ wie verboten war.

Meine Mutter war da auch immer nicht so ganz ängstlich, wir wurden zum Beispiel als Kinder auf dem Heuwagen gesetzt, weil meine Großeltern aus dem Westen, auf der Westseite an der Elbe, gestanden haben, damit die uns mal sehen konnten. Wir wurden hochgehalten auf dem Heuwagen.

Als wir dann junge Leute waren und wir hatten im Hochsommer Hochwasser in der Elbe, da hat mein Vater gesagt, „du Jung…“ – ich fuhr dann schon mit dem Moped – „…du kannst dann mal um die Hochwasserzonen rum hinter dem Stacheldraht und musst du noch mal das Heu umkehren“, weil die das Nachmittags einfahren wollten.
Und dann hat doch ein Soldat auf mich Warnschüsse abgegeben, wie ich durchs Wasser gegangen bin. Das hat mich schon geprägt!
Wenn das neben Ihnen mit dem Maschinengewehr plätschert, ich war sehr brav dann.

Fluchtgedanken

Krasse Erinnerung aus meinem Leben 1960, als die erste LPG kam,
hatten meine Eltern einen neuen seiner Zeit Wartburg 311 bekommen und durften damit noch meine Großeltern in Uelzen besuchen fahren und hatten schon alles, was man damals für Wertsachen gehalten hat eingepackt.

Meine Eltern sind dann nachts durch die Elbe vom Westen in den Osten geschwommen und wollten uns Kinder nachholen, weil sie sich dem Regime nicht unterordnen wollten.

Und ich kann mich als Junge noch gut erinnern – ich war neun Jahre alt – dass mein Großvater denn geschrien hat im Haus.

Und also das war eine sehr dramatische Nacht und meine Eltern sind dann unverrichteter Dinge wieder zurückgeschwommen in Westen und sind dann wieder offiziell hierhergekommen.

Die Wendezeit

Damals war die Grenze und Reisegeschichte schon etwas gelockerter und da haben wir immer gesagt, wir werden irgendwie gucken, wie es wird: Wir machen das. Wir planen das und fertig!

Und dann war ja im Sommer, ich habe wie so oft meine Eltern im Grenzgebiet mit dem Motorrad besucht und war in der Stube und dann hat der Schalck-Golodkowski in der Tagesschau die besonderen Worte gesagt, dass die Grenzen offen sind und der Reiseverkehr frei sei.

Konnte ich natürlich nichts mit anfangen, das konnte ich sich auch keiner vorstellen.

Wir sind dann nachher wie gewohnt in den Westen gefahren mit dem Trabant zum Geburtstag und hatten da tolle Erlebnisse: Kurz hinter Hamburg hat uns einer mit dem Audi hat hinter uns geparkt auf einer Raststätte – vergesse ich nie wieder – und hat mir 100 DM gegeben mit dem Spruch „Wollen sie wieder zurückfahren?“. Ich sage „Natürlich, ich habe meine Kinder zu Hause und ich habe mein Leben zu Hause.“

Ich hatte ja noch gar nicht begriffen, was kommen wird. Er hat mir die 100 Mark gegeben und hat sich ins Auto gesetzt und ist weitergefahren.

Dann waren wir bei Bekannten, die wir kennen gelernt hatten, über Luftballon Freundschaften, die gab es ja zu DDR Zeiten weil wir ja hauptsächlich Westwind hatten und da hat man im Westen, um Kontakt in den Osten zu kriegen, Luftballons fliegen lassen mit der Adresse.



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